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Geschichte und Kultur

Gesichte und Kultur der Dolomiten

Der Große Krieg

 

„Aus der Generation unserer Großeltern sind nur noch sehr wenige übriggeblieben. Sie sind mittlerweile um die hundert Jahre alt und haben als Kinder das Drama des Großen Krieges an der Dolomitenfront miterlebt. Es sind uns zahlreiche Tagebücher sowie registrierte und transkribierte Erzählungen ihrer Eltern, also unserer Urgroßeltern, überliefert, die gezwungen wurden, im Ersten Weltkrieg mitzukämpfen. Ein Krieg der wie ein fatales Schicksal eintraf...“ (Oskar Irsara)

 

Der Erste Weltkrieg unterschied sich so sehr von den bisherigen Kriegen, dass ihn sich niemand in diesen Ausmäßen vorgestellt hätte, nicht nur was die eingesetzten Mittel, sondern vor allem was die Zahl der Gefallenen anging. Dieser Krieg hinterließ Zeichen in der Existenz aller Beteiligten: Für Soldaten, Flüchtlinge und Gefangene war es ein einschneidendes Erlebnis, reich an Folgen, weswegen es schwierig war, davon zu erzählen.

 

„In den Dolomitentälern hat der Große Krieg, wie ein Wirbelwind, alles ausgerottet, überwältigt und verändert: Berge, Wälder, Dörfer und Leute.“ (L. Palla)

 

Für die Bewohner der Ladiner, Trientner und Tiroler Täler, welche zu Österreich-Ungarn gehörten, begann der Krieg bereits im August 1914, einen Monat nach der Ermordung in Sarajevo des Erzherzogs Franz Ferdinand, Thronfolger der K.u.K.-Monarchie. Alle Männer zwischen 21 und 42 Jahren wurden innerhalb kurzer Zeit einberufen, brachen aber mit der Überzeugung auf, nach einem schnellen Feldzug gegen Serbien wieder gesund und munter nach Hause zurückkehren zu können. In den Reihen der Kaiserjäger, ein Infanterieregiment der gemeinsamen Armee Österreich-Ungarns, waren viele Soldaten aus den ladinischen Tälern. Sie wurden nach Galizien, an die russische Front, und in den Balkan geschickt. Entgegen aller Vorhersagen hatte das österreichisch-ungarische Heer, bereits vor Dezember 1914, fast die Hälfte seiner Ist-Stärke verloren. Und es starben noch viele weitere Menschen in diesem Krieg, der eben aufgrund der vielen Opfer, auf traurige Weise, berühmt geworden ist.

 

Soldati

 

In der Zwischenzeit nahmen in Italien die „Interventionisten“ überhand, die überzeugt davon waren, Trient und Triest vom österreichischen Joch zu befreien. Am 23. Mai 1915, nachdem Italien mit den alliierten Mächten den Londoner Vertrag abgeschlossen hatte und aus dem Dreibund mit Deutschland und Österreich-Ungarn ausgetreten war, erklärte es diesem den Krieg. Für den Dreibund eröffnete sich also eine neue Front im Südwesten, vom Stilfser Joch bis zur Grenze zu Kärnten, in einem Moment in dem die Truppen an der galizischen Front alle Hände voll zu tun hatten, um den Vormarsch der Russen aufzuhalten. Aufgrund des Mangels an Männern wurde die Verteidigung der Front im Südwesten den Standschützen anvertraut. Das waren Schützenkompanien, die im 15. und 16. Jahrhundert entstanden sind und immer wieder in die kriegerischen Handlungen innerhalb der Grenzen Tirols eingriffen. Leider hatten die zur Verfügung stehenden Standschützen keine wirkliche militärische Ausbildung, denn zum Teil waren sie zu jung, zum Teil zu alt und die Männer im kriegsfähigen Alter waren bereits im regulären Heer untergebracht.

 

Die Bewohner vom Ampezzotal und von Colle Santa Lucia (Verseil) hatten es am schwierigsten, denn sie mussten ihre Häuser und Familien verlassen und sich in die Berge zurückziehen. Von dort war es vorteilhafter, sich dem italienischen Heer gegenüberzustellen. Sie waren sich bewusst, dass die Verteidigung der Ampezzaner-Mulde und jener von Colle Santa Lucia, die beide Richtung Süden offen sind, unmöglich war und dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis die italienische Armee in ihren Dörfern eindringen würde. Das Buchensteintal, durch das sich die Frontlinie durchzog, wurde vollkommen evakuiert. Frauen, alte Menschen und Kinder, nur mit dem Nötigsten bepackt, mussten ins Ungewisse flüchten und erreichten zum Großteil Böhmen, während die kampffähigen Männer dablieben, um die Heimat zu verteidigen.

 

Corvara WWI

 

Die Schützen vom Buchenstein- und Ampezzotal, die in der 4. Kompanie des Bataillons Enneberg, unter dem Kommando des Majors Franz Kostner aus Corvara, eingeordnet waren, wurden gemeinsam mit den Standschützen aus dem Gadertal (2. und 3. Kompanie) sowie jenen aus Bruneck (1. Kompanie) an die Front geschickt, die zwischen dem Pordoijoch und dem Travenanzestal verlief. Einige Monate später kam das „Deutsche Alpenkorps“ zu Hilfe und der Großteil der ladinischen Schützen wurde an die Front des Col di Lana (Buchenstein) versetzt, bis es zur Niederlage der Italiener in der Schlacht von Karfreit (heute Kobarid) kam, welche auch als „Zwölfte Isonzoschlacht“ oder unter dem italienischen Namen Battaglia di Caporetto bekannt ist.

 

Die österreichische Militärgrenze in den Dolomiten verband die Gipfel der Berge zu einem Amphitheater: Sie erstreckte sich vom Lagorai zum Monzonital, von der Marmolada und vom Monte Padon bis zum Col di Lana und zum Settsass und vom Lagazuoi bis zu den Tofanen. Diese natürliche Verteidigungslinie war durchsetzt von alten Befestigungsanlagen, die aber einen großen Teil ihres Kriegswerts verloren hatten: Das Fort von Corte und die Werke von Ruaz im Cordevoletal sowie die Forts Tra i Sass auf dem Valparolapass. Die schlechte Verteidigung von Seiten Österreichs hätte es dem italienischen Heer leicht gemacht die Dolomitenfront zu durchbrechen und das Gebiet bis hinauf zum Brenner zu erobern, aber der General Cadorna war überzeugt davon, dass es innerhalb kürzester Zeit zur entscheidenden Schlacht am Isonzo kommen würde. Die Zweitrangigkeit der Dolomitenfront war also der Grund, weshalb die Italiener den Angriff verzögerten, was den Schützen die nötige Zeit gab, um die Grenze zu verstärken.

 

Am 29. Mai 1915 blockierte das italienische Heer, ohne einen Streich zu tun, Cortina d'Ampezzo und Colle Santa Lucia, aber schon am 8. Juni scheiterte der erste große Angriff auf Son Pouses, in den Bergen von Cortina. Am 5. Juli wurde die 4. Armee vorbereitet für eine Großoffensive gegen die Linie, die vom Col di Lana bis zu den Tofanen verlief. Zwei Tage später wurde die Offensive gestartet, die Linie blieb jedoch am 17. Juli stehen, ohne viel erreicht zu haben. Jede Hoffnung auf einen raschen Vormarsch musste somit begraben werden. Es begann ein langwieriger, auszehrender Stellungskrieg, der nicht einmal durch den Beschuss mit Minen – sei es von italienischer als auch von österreichischer Seite – in Bewegung gebracht werden konnte. In der Nacht vom 17. auf den 18. April 1916 wurde der Gipfel des Col di Lana in die Luft gesprengt, am 16. Juli des gleichen Jahres der des Castelletto, immer von den Italienern. Die Österreicher ließen ihrerseits Minen auf dem Lagazuoi explodieren, um die auf der Cengia Martini stehenden Italiener zu verjagen. Nichts half eine Entscheidung herbeizuführen, nicht einmal die im Mai 1916 gestartete, bekannte österreichische „Strafexpedition“ im Trentino.

 

Cimitero di guerra Valparola

 

Die blutigsten Kämpfe wurden auf dem Col di Lana ausgetragen, da dieser Berg, aufgrund seiner strategisch wichtigen Position, eines der größten Hindernisse für einen italienischen Vorstoß in das Cordevoletal war. Doch die schwierigste Zeit für alle war sicherlich der Winter 1916/17 (Video), als Soldaten und Zivilbevölkerung anfingen Hunger zu leiden. Dazu kamen die anhaltenden Schneefälle, welche mehr als 10.000 Tote forderten, die entweder den Kältetod gestorben oder unter eine Lawine gekommen waren. Um sich vor solchen Unglücken und vor dem Feindesbeschuss zu schützen, gruben die Österreicher, unter Anleitung des Ingenieurs Leo Handl, auf über 3.000 m Höhe, kilometerlange Tunnels und Stollen in den Gletscher der Marmolada, sodass eine richtige „Eisstadt“ entstand. Aber all diese übermenschlichen Mühen führten zu keiner Wende im Kriegsgeschehen.

 

WWI Tomba

 

Die Schlacht von Karfreit im Oktober 1917 endete mit einem Rückzug der Italiener bis zum Piave. Die Dolomiten waren somit nicht mehr Kriegsschauplatz und die Frontlinie verschob sich zum Monte Grappa.

 

Im Oktober 1918 war der Zerfall der Habsburgermonarchie bereits voraussehbar: Der Hunger, der Mangel an Kriegsmitteln und die Niedergeschlagenheit der Soldaten führten zur definitiven Krise der multinationalen Streitmacht. Am Morgen des 29. Oktober begann der Vormarsch der Italiener und gegen Abend drang eine Kavalleriekolonne in Vittorio Veneto ein. Dem österreichischen Oberbefehlshaber blieb nichts anderes übrig, als die Bedingungen des Waffenstillstandes, der am 3. November 1918 unterschrieben wurde, zu akzeptieren.

 

„In der Erinnerungsliteratur wurden die Dolomiten nicht nur wegen dem dort vergossenen Blut zu einem Mythos erhoben, sondern auch weil sich im Gebirgskrieg nicht anonyme Heere gegenüberstanden, wie es in den Ebenen Galiziens an der russischen Front der Fall war. Der Kampf wurde Mann gegen Mann ausgetragen, was den Wert und die Einzigartigkeit eines jeden Beteiligten unterstrich. Angesichts der Lebensumstände, denen die Soldaten im Gebirge ausgesetzt waren sowie der langen Winter, in denen sie zum Nichtstun verurteilt waren, boten sich ihnen viele Gelegenheiten den Feind etwas näher kennenzulernen, der in den Feuerpausen manchmal sogar ein menschliches Gesicht bekam. Die Kontaktaufnahmen, der Austausch von Zigaretten und Briefen, die Glückwünsche zum ersten Weihnachtsfest an der Front zwischen den Gegnern, die nur wenige Meter voneinander entfernt waren, sind mittlerweile legendär geworden.“ (L. Palla)

 

Dieser Mythos des Alpenkrieges sollte aber keinesfalls dazu führen, die Absurdität dieses Stellungskrieges zu rechtfertigen, der auf beiden Seiten der Front zahllose Opfer gefordert hat.

 

 

Die ladinische Sprache

 

"Danter nos baiunse ladin, deache chësc é nosc lingaz dla uma. Mo val’ iade ti dunse ince a nüsc ghesc' le bëgnodü por ladin."

 

Diese Sätze in ladinischer Sprache, deren Sinn der eine oder andere vielleicht sogar erahnen kann, haben folgende Bedeutung: „Unter uns sprechen wir Ladinisch, weil das unsere Muttersprache ist. Aber manchmal begrüßen wir auch unsere Gäste auf Ladinisch!“
Die ladinische Sprache ist die Muttersprache der Bewohner des Gadertales, aber auch der nahe gelegenen Grödner-, Fassa-, Buchenstein- und Ampezzo-Täler. Aus historischer, linguistischer und kultureller Sicht stellen diese fünf Täler eine Art Übergangsgebiet dar zwischen dem deutschsprachigen Tirol und den italienischsprachigen Trentino und Venetien.

 

In den vier Tälern rund um den Sellastock – Gader-, Grödner-, Fassa- und Buchensteintal – und im Ampezzo sind ungefähr 35.000 Personen wohnhaft. Der Großteil davon ist ladinischer Muttersprache. Die Sprache ist das Hauptmotiv, welches die Forderung der Ladiner, eine eigenständige ethnisch-linguistische Gruppe zu bilden, rechtfertigt.

 

Alunni 1940

 

Woher kommt die ladinische Sprache?

Einige Besucher unserer Gegend fragen sich sicher nach der Herkunft dieser Sprache, aber da man auch von Ladinern selbst nicht immer eine zuverlässige Antwort erwarten kann, haben wir beschlossen, über unsere Internetseite Informationen diesbezüglich zu liefern.

 

Trotz seines „antiken“ Ursprungs wurde Ladinisch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Wissenschaft als Sprache anerkannt. Forscher entdeckten sie in drei verschiedenen linguistischen Inseln: in Graubünden in der Schweiz, in den Dolomiten und im Friaul. Die Glottologen bemerkten, dass die ladinische Sprache zahlreiche Merkmale des regionalen Sprechlateins aufweist, das sich nicht nur in der Poebene, sondern auch in den drei römischen Provinzen Venetia et Histria, Raetia und Noricum durchgesetzt hatte. Die ladinische Sprache bewahrte phonologische und lexikalische Merkmale dieses Dialekts der Räter und Noriker. Diese gehen auf die Zeit vor der Romanisierung und vor der Geburt der ladinischen Sprache zurück und werden noch heute gebraucht, wie zum Beispiel baràntl (Latschenkiefer), brama (Sahne), ciamùrc (Gämse), cìer (Zirbelkiefer), crëp (Fels), dàscia (Tannenzweig), dlasena (Heidelbeere), nìda (Molke), ròa (Erdrutsch von kieselförmigen Material), aisciöda (Frühling). All diese Begriffe gehören einem Sprachrepertoire an, das speziell in Berglandschaften benutzt wird und wofür es im Sprechlatein wahrscheinlich keinen treffenden Ausdruck gab. Die ladinische Sprache, die in einigen Gebieten mehr keltische Merkmale aufweist und sich in anderen Zonen durch vorwiegend alpines Sprechlatein auszeichnet, ist also eine direkte Weiterführung des gegen Ende des Römischen Reiches in den Alpen gesprochenen Lateins.

 

Abbecedario Ladino

 

Der erste Wissenschaftler, der eine linguistische Verwandtschaft zwischen den drei „ladinischen“ oder „rätoromanischen“ Sprachinseln bewies, war der Italiener Graziadio Isaia Ascoli. Er vertrat die Hypothese, die besagte, dass zur Zeit des Römischen Reiches eine einheitliche Sprache ohne Unterbrechung im ganzen Alpenbogen gesprochen wurde: von der Donau im Norden bis zum Gardasee im Süden, vom Schweizer St. Gotthard-Pass im Westen bis nach Triest im Osten. Die Existenz dieser einheitlichen „Ursprache“ ist heute durch Studien im Gebiet der Toponomastik bewiesen, die bekanntlich zu den konservativsten Teilen einer Sprache gehört. In der Tat stimmen viele Ortsnamen in Graubünden, in den Dolomiten und im Friaul überein und dieser gemeinsame lateinische Ursprung zeigt auch die Ausbreitung des Römischen Reiches und den Einfluss, den die Romanisierung ausübte.

 

Die Varianten der ladinischen Sprache

Die ladinische Sprache, die heute in einigen Teilen der Dolomiten sowie in Graubünden gesprochen wird, weist eine weitgefächerte interne Gliederung auf. Das Ladinische, welches im Gadertal gesprochen wird, besteht aus den Idiomen Badiot in Hochabtei, Ladin de Mesaval in der Gemeinde St. Martin und Marô in der Gemeinde Enneberg. Im Grödnertal wird die Variante Gherdëina gesprochen. Gleich wie das Gadertal, besitzt auch das Fassatal drei Varianten: Cazet im Hochtal; Brach im Mittelteil, von Soraga bis Mazzin; und Moenat, die Mundart von Moena. Im Buchensteintal spricht man Fodom und in Cortina d'Ampezzo Anpezan.

 

Ladin signs Dolomites

 

Die ladinische Sprache weist heute in allen ihren Varianten Spuren auf, die auf die langjährigen Kontakte wirtschaftlicher und kultureller Natur mit den zwei angrenzenden, anderssprachigen Gebieten, zurückgeführt werden können. Sie enthält viele Elemente, die von norditaliensichen Dialekten abstammen, aber auch von bayerischen Dialekten aus dem Mittelalter sowie von der deutschen Standardsprache.

 

Neben der ladinischen Sprache sind in den Dolomitentälern nämlich auch die deutsche und italienische Sprache vertreten. Heute ist eine totale Einsprachigkeit, die für lange Zeit die verschiedenen Sprachgruppen voneinander trennte, nicht mehr möglich.

 

Die besonderen geschichtlichen und sozialen Entwicklungen, die Lage zwischen zwei verschiedenen Kulturkreisen (deutsch und italienisch), der starke wirtschaftliche Aufschwung des Tourismus in den letzten Jahrzehnten, aber auch die Massenmedien haben den Ladinern zur Mehrsprachigkeit verholfen. Da Touristen aus den verschiedensten Ländern in die Dolomiten kommen, ist eine bestimmte sprachliche Flexibilität unabdingbar, die in den ladinischsprachigen Tälern dank einer eigenen Schulordnung garantiert wird. Auch wenn die Ladiner eine diskrete sprachliche Kompetenz in Deutsch und Italienisch besitzen, ist es interessant zu bemerken, dass vor allem ältere Menschen nur zwanglos sprechen, wenn sie ihre Muttersprache benutzen. Es gäbe noch viele weitere Situationen, in denen die Wertschätzung der Ladiner gegenüber ihrer Sprache und ihrer Identität zum Vorschein kommt. (W. Pescosta)

 

 

Mythen, Sagen und Volkserzählungen

 

„'An cunta che' ... ist der Titel eines Schulbuches für Kinder der Grundschule, an das sich bei uns noch fast alle gut erinnern können. Es enthält Sagen und Geschichten von Menschen, die vor langer Zeit gelebt haben und regt auf wundervolle Weise die Fantasie der großen und kleinen Leser an.“ (Igor Tavella)

 

In den verschiedenen Bergtälern der Dolomiten gibt es zahlreiche Erzählungen und Legenden, die von der immensen Kreativität unserer Vorfahren zeugen. Der Nationalepos der Ladiner erzählt von einem weit zurückliegenden Reich, dem Reich der Fanes, von Prinzen und Prinzessinnen und deren Bündnisse mit dem Volk der Murmeltiere. Luianta, Dolasìlla, Ey de Net und Spina de Mul sind nur einige Figuren der ladinischen Dolomitensagen, die sich von den Salvàns, von den Ganes, Männer des Waldes und Frauen des Wassers, Aguane, unterscheiden. Die Salvàns und Ganes lebten oberhalb der bewohnten Ortschaften, kamen aber doch ab und zu in Kontakt mit der Bevölkerung. Sie sind die positiven Figuren der ladinischen Volkserzählungen, in denen das Böse von Ungeheuern und Hexen verkörpert wird.

 

Den Protagonisten einiger Volkserzählungen liegen authentische Persönlichkeiten zugrunde. Ein Beispiel ist der Gran Bracun, Beiname des Adligen Wilhelm Brach, ein sagenumwobene Ritter, der aufgrund seiner außerordentlichen Taten in die Geschichte eingegangen ist.

 

Die Mythen, Sagen und Volkserzählungen der Dolomitentäler, die von Generation zu Generation weitererzählt wurden, spiegeln die lange Geschichte der Dolomitenvölker wider. Der Leser dieser Erzählungen hat die Möglichkeit, sich in eine längst vergangene Zeit zurückzuversetzen. Er kann erahnen, wie die Ureinwohner ihre Umgebung sahen und verstanden und kann daraus Rückschlüsse auf seine Identität ziehen sowie die Schauplätze der Sagen kennenlernen.

 

Dolasila

 

Eine der bekanntesten Sagen handelt von einem einstigen Reich, von dem erzählt wurde, es besäße schwarze, dunkle Berge, wie man sie in den Alpen vorfindet. Der junge Prinz dieses Reichs heiratete die Tochter des Mondes, ein Mädchen von zarter Schönheit und edlem Gemüt, das an Heimweh nach seiner silbern leuchtenden Heimat fast zugrunde ging. Der Prinz, verzweifelt aber zugleich entschlossen seine geliebte Braut um jeden Preis zu retten, beschloss also ein Abkommen mit den Salvàns – der weisen Urbevölkerung – zu treffen, die im Besitz aller Naturgeheimnisse waren. Der Prinz versprach dem Stamm Schutz und Zuflucht in den Wäldern und auf den Anhöhen seines Reiches, als Gegenleistung verlangte er einen Zauber, der alle Gipfel mit einem bleichen Mondlicht verschleiern sollte, um einen geeigneten Lebensraum für die Prinzessin zu schaffen. Und so kam es auch. In einer einzigen Nacht spannen die Salvàns die Mondstrahlen und webten ein engmaschiges Netz aus Licht und Silberfäden und bedeckten so das gesamte Reich mit der zarten Mondblässe. Das einstige Reich ist längst verschwunden. Trotzdem kann man noch heute in den Wäldern und auf den Anhöhen die mysteriöse Präsenz der Salvàns wahrnehmen und die Gipfel der Berge strahlen immer noch in ihrem weißen Mondschimmer. Die Leute nennen sie auch die Bleichen Berge.

 

Diese Sage ist sehr interessant, vor allem weil sie sich auf keine der Erklärungen beruft, welche ätiologische Sagen angrenzender Gebiete vertreten. Die Sehnsucht der Prinzessin scheint in den Bergen eingeprägt zu sein, deren leuchtende Gipfel einen nostalgischen Reiz ausstrahlen. Es handelt sich um eine traumähnliche Mondlandschaft, eine Seelenlandschaft, die das Echo einer vergangenen Welt darstellt, als die Mythen versuchten den Ursprung der Dinge zu erklären und so das Reich der Fanes geboren wurde, das von einem Murmeltier-Mädchen gegründet worden war und seine größte Blütezeit unter der Herrschaft der Prinzessin Dolasìlla erlebt hatte. Das war eine geheimnisvolle Kriegerin in silberner Rüstung und schneeweißen Pelz, mit silbernen Bogen von dem sie fürchterliche, unfehlbare Pfeile abschoss, die aus dem silbernen Schilf eines verzauberten Sees gewonnen wurden – alles ist Traum und Symbol, geheimnisvolles Los, stummes Schicksal. (U. Kindl, Miti ladini delle Dolomiti)

 

Re del Fanes

 

Schon an diesen wenigen Zeilen kann man den Zauber der Mythen und Sagen der Dolomiten erkennen, der auch daher zeugt, dass man sich beim Lesen und Zuhören in die Traditionen und in die Vorstellungswelt der ladinischen Bevölkerung hineinversetzen kann.

 

Das Team von Holimites besitzt zwar keine eigene Sammlung der Sagen oder anderer narrativer Texte, welche die Interessierten in jeder Bücherei finden können, aber stellt Ihnen erfahrene Bergführer zur Verfügung, die Euch während Eurem Aufenthalt zu den verschiedenen Schauplätzen der Sagen bringen und Euch von den Hauptfiguren der alten Dichtkunst, dem wahren Kulturschatz der Dolomiten, erzählen.

 

Bräuche und Traditionen

 

”Bun dé y bun ann, Chël Bel Dî se lasces vire tröc agn, cun ligrëza y sanité, fortüna y benedisciun, sön chësc monn döt le bun, y ia en l’ater monn le paraîsc. Le bun dé a os y la bambona a mé!”

 

Dieser kurze Reim, der am ersten des Jahres von den Gadertaler Kindern aufgesagt wird, wenn sie von Haus zu Haus ziehen, um „Gesundheit, Glück und Segen“ für das neue Jahr zu wünschen und wofür sie etwas Süßes oder ein kleines Geschenk erhalten, gehört zu den zahlreichen ladinischen Bräuchen, die heute mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Viele dieser Traditionen werden nicht mehr gepflegt wie früher, aufgrund von Veränderungen in den sozioökonomischen Strukturen: Die Bräuche sind eng verbunden mit dem Leben und der Arbeit der Bauern, die in den Dolomitentälern mittlerweile eine vom Aussterben bedrohte „Spezies“ sind. Vor allem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind Landwirtschaft, Schaf- und Viehzucht immer mehr zurückgegangen und haben dem Tourismus Platz gemacht. Auf diese Weise ist in der heutigen „modernen Welt“ von den Bräuchen, Sitten und Traditionen unserer Vorfahren nur noch wenig übrig geblieben.

 

Santa Maria dai Ciüf

Früher einmal waren religiöse Zeremonien, weltliche Feiern und Dorffeste wichtige Gelegenheiten, um etwas Abwechslung in den monotonen und strengen Rhythmus des täglichen Lebens zu bringen. Die Bräuche bereicherten das Leben, kennzeichneten die Festtage und stellten eine Unterhaltungsmöglichkeit für jede Dorfgemeinschaft dar.

 

Viele Bräuche und Traditionen hängen mit wichtigen Geschehnissen des Lebens zusammen (die Geburt, die Taufe, die Hochzeit, der Tod), mit den Jahreszeiten, mit verschiedenen bäuerlichen Tätigkeiten (Heu- und Kornernte, die Flachsbreche, das Dreschen) oder mit dem Umwerben von jungen Frauen. Die Junggesellen gingen, zu ganz bestimmten Anlässen, a vila. Die ersten schüchternen Annäherungsversuche machten sie an Festtagen, nach der Messe am Eingang der Kirche. Danach warteten sie hart auf die Gelegenheiten, in denen sie sich in Gruppen in die Häuser begeben durften, wo die hübschesten jungen Frauen waren, um gemeinsam zu singen, zu tanzen und zu feiern. Natürlich immer unter strenger Aufsicht der Eltern, die sie nie allein ließen. Zu solchen Anlässen fragten die jungen Bewerber ihre Mädchen nach einem „symbolischen Pfand“ um herauszufinden, ob ihre Gefühle erwidert wurden oder nicht.

 

Re magi


Am Stephanstag (26. Dezember) bestellten die jungen Männer des Gadertals für das Dreikönigsfest ein Süßgebäck, bestehend aus zwei Herzen, die mit einer roten Schlaufe zusammengehalten wurden. Später begannen die jungen Frauen anstelle des Süßgebäcks Blumensträußchen anzufertigen, die sich die Männer dann auf ihre Hüte steckten. Indem die Umworbene dieser „Bestellung“ nachkam, gab sie zu verstehen, dass sie das Interesse erwiderte. Am Josefstag (19. März) spielte sich ein ähnliches Ritual ab. Die Jungen besuchten die Mädchen, um gefärbte Eier zu „bestellen“, die sie dann am Ostermontag abholten. Das schönste dieser gekochten Eier bekam der junge Mann, der das Interesse der Umworbenen geweckt hatte. Außerdem bekam der Ausgewählte drei oder sechs Eier und noch weitere Geschenke. Der abgelehnte Anwärter dagegen bekam ein Ei auf dem ein Vers mit einer Absage aufgemalt wurde. Wenn sich ein junges Paar verlobte, mussten sie sich an eiserne Verhaltensregeln halten und so schnell als möglich heiraten, denn die Verlobungszeit wurde weder von den Eltern noch von der Kirche gern gesehen. Man musste also die Eltern um die Hand der Tochter fragen, Verwandte und Freunde einladen sowie die traditionellen Kleider tragen.

 

Parada da noza

Es gäbe noch viele solcher Stichtage mit Symbolcharakter und rituellen Praktiken, welche dem anthropologischen Erbe der ladinischen Alpenbewohner außerordentliche Wichtigkeit verleihen. Aus Platzgründen können wir das Argument hier nicht weiter vertiefen, aber verweisen auf die Internetseiten und Publikationen am Ende dieses Dokuments. Hier möchten wir Ihnen nur einige der Bräuche und Gewohnheiten vorstellen, die sich bis heute erhalten haben und die noch nicht vom schnellen Rhythmus sowie vom wirtschaftlichen und materiellen Wohlstand, den die Tourismusindustrie eingeleitet hat, überrumpelt worden sind. Wesentlich dazu beigetragen hat auch der Einsatz zahlreicher Verbände und Kulturvereine.

  

Ciora Müla

 

Die Sarada

Unter den Bräuchen, die mit der Hochzeit verbunden sind, sticht die Sarada oder Sief hervor: Entlang dem Weg zur Kirche, bereiten Freunde und Bekannte des Brautpaares eine oder mehrere Absperrungen vor, die sogenannte Sarada, sodass das Paar und die Gäste gezwungen sind anzuhalten. Es werden dann einige wichtige Momente des Lebens der Brautleute dramatisiert, die ihre Makel hervorheben. Damit sie weiterziehen dürfen, muss der Mënanovicia, also der Brautzeuge, ein Weggeld an die Schauspieler auszahlen.

 

Die Ciora Müla

Noch heute ist es Brauch, dass Freunde und Bekannte des Brautpaares am Hochzeitstag, als Zeichen des Hohnes, die Ciora Müla dem Möt Vedl (Junggeselle) oder der Möta Vedla (Ledige) verkaufen, also dem älteren Bruder bzw. der älteren Schwester, die noch nicht verheiratet sind. Normalerweise ist es eine Ziege aus Holz, Stoff oder Stroh, manchmal aber auch eine echte Ziege aus Fleisch und Blut.

 

San Micura

 

San Micurà

Am 5. Dezember, dem Tag des heiligen Nikolaus, warten die Kinder vor dem Schlafengehen fiebrig auf den Besuch des Heiligen, der meistens von zwei Engeln und einer Horde Teufel begleitet wird. San Micurà (Hl. Nikolaus) geht von Haus zu Haus und ermahnt die unfolgsamen Kinder, die gerne Streiche spielen, und lobt die artigen, die sich gut benehmen. Die ersten erhalten eine Rute, die zweiten ein Säckchen mit Süßigkeiten, Nüssen und Mandarinen.

 

 

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